Neubau der Bahnlinie S4 bringt Ring 3 nach Volksdorf

Ein Pressebericht für die Volksdorfer Zeitung:

Während die Politik den Neubau der S-Bahnlinie 4 zwischen Hamburg und Bad Oldesloe als großes „Nahverkehrs-Zukunftsprojekt“ feiert, fürchten Anwohner den transeuropäischen Güterverkehr auf den Gleisen und den Durchgangsverkehr zu den Autobahnen. Auch das Stellmoor-Ahrensburger Tunneltal wird durch den Ausbau der Strecke bedroht.

Seit dem 1. Februar dieses Jahres laufen im Wandsbeker Gehölz die Motorsägen und fällen teils uralte Bäume, um die Baustraße für den Neubau der Bahnlinie S4 vorzubereiten.

Zahlreiche Protestaktionen und Waldkonzerte, sogar mit den „Söhnen Hamburgs“, konnten das Vorhaben der Deutschen Bahn bislang nicht stoppen. Dabei geht es den Gleisgegnern keinesfalls gegen die S4, sondern gegen den damit verbundenen Ausbau des transeuropäischen Schienengüterverkehrs durch dichtbewohnte Wohngebiete und das geschützte Stellmoor-Ahrensburger Tunneltal.

Ausbau der transeuropäischen Schienengüterverkehrs durch dichtes Wohngebiet

 Denn nur wer genauer hinschaut erkennt, dass sich hinter dem angepriesenen Neubau der S4 eines der größten Infrastrukturprojekte Europas, nämlich der Ausbau der Schienenanbindung an den Fehmarnbelt-Tunnel nach Skandinavien, verbirgt. Soll heißen: Die neuen Gleise werden gebaut, um die bestehenden Gleise vom Nahverkehr abzukoppeln und für den europäischen Schienengüterverkehr zur Verfügung zu stellen.

Bis zu 84 Güterzüge werden dann Tag und Nacht durch Wohngebiete und Naturschutzgebiet rattern. Um dem Lärm der Güterzüge entgegenzuwirken, wird teils die komplette Strecke beidseitig mit 3-6 m hohen Lärmschutzwänden ausgestattet.

Stadtteile und Städte werden dadurch geteilt, Naturräume zerschnitten und der unverbaute Charakter des Stellmoor-Ahrensburger Tunneltals unwiederbringlich zerstört.

Weil sich die Gleisanzahl von zwei auf vier Gleise verdoppelt, werden zudem die beschrankten Bahnübergänge durch Brückenbauwerke ersetzt.

Verlängerter Ring 3 durch Volksdorf und Ahrensburg

Besonders verheerend wird sich das auf den Durchgangsverkehr am Bahnübergang „Brauner Hirsch“ auswirken. Schon jetzt wird diese Strecke gerne als Autobahnzubringer zur A1 genutzt. Allerdings wirkt der beschrankte Bahnübergang noch wie eine Drosselklappe und behindert den Verkehrsstrom. Wird dieser Bahnübergang allerdings, wie geplant, durch ein großes Brückenbauwerk ersetzt, gibt es für den Verkehr kein Halten mehr. Es ist zu befürchten, dass sich die Strecke zum verlängerten Arm des Ring 3 entwickelt wird und zu einer starken Verkehrsbelastung in Volksdorf und Ahrensburgs Süden führen wird.

Natur- und Denkmalschützer sind entsetzt

Das Stellmoor-Ahrensburger Tunneltal ist ein Ort der Superlative. Neben vielen gefährdeten Tier- und Pflanzenarten sind hier auch die Landschaft und die archäologischen Bodendenkmäler von Seltenheitswert!

So wurde das Tunneltal während der letzten Eiszeit von Gletschern und Schmelzwasserströmen geformt und gehört zu den wenigen Gebieten Nordeuropas, wo die eiszeitlich geprägte Landschaft so gut erhalten und bis heute sichtbar blieb. Teile des Tunneltals sind deshalb als „Geotop von überregionaler Bedeutung“ geschützt.

Von internationaler Bedeutung sogar, sind die archäologischen Fundstätten im Tunneltal. Hier lebten bereits vor 14.7000 Jahren eiszeitliche Rentierjäger, deren Kulturspuren über die Jahrtausende im Tunneltal konserviert wurden. Ihre Kulturen sind gut dreimal so alt wie die Pyramiden von Gizeh oder Stonehenge und auch sie hinterließen spektakuläre Funde. So wurden im Umfeld des Bahnübergangs „Brauner Hirsch“ eines der ältesten Kunstobjekte Nordeuropas und sogar die weltweit ältesten Pfeile der Menschheits-geschichte entdeckt.

„Es ist unfassbar, dass mitten durch diesen berühmten Hotspot der Archäologie zwei weitere Gleise und ein riesiges Brückenbauwerk gebaut werden sollen!“ so Svenja Furken, Sprecherin der der IG Tunneltal, „Allein im Umfeld der Baustelle werden noch etwa 260.000 Einzelfunde im Untergrund vermutet. Anders als bei anderen Bauprojekten, kann man sie leider nicht durch eine Rettungsgrabung sichern. Die Bergung in so großer Tiefe würde den Bahnverkehr zwischen Hamburg und Lübeck über Monate, vielleicht Jahre lahmlegen. “

Klage eingereicht

Anwohner und Naturschützer haben nun eine Klage gegen das Bahnprojekt eingereicht.

Die Chancen stehen gar nicht schlecht, weil das Stellmoor-Ahrensburger Tunneltal als Bestandteil eines Flora-Fauna-Habitat (FFH) Gebietes den höchsten Schutzstatus auf europäischer Ebene genießt.

Hier gilt das sogenannte Verschlechterungsverbot. Eingriffe dürfen nur dann erfolgen, wenn zumutbare Alternativen nicht gegeben sind. Im Fall der Planung der S4 wurden Alternativen jedoch gar nicht erst geprüft! Deutschland riskiert mit dem Bauvorhaben ein EU-Vertragsverletzungsverfahren.

„Richtig so!“ mein Svenja Furken „Angesichts des dramatischen Rückgangs der Artenvielfalt hatte sich die EU Kommission in ihrer Biodiversitätsstrategie die Unterschutzstellung von 30% der Landgebiete und 30% der Meeresgebiete Europas bis 2030 vorgenommen. Wie wollen wir so ein Ziel erreichen, wenn wir es nicht einmal schaffen, die bestehenden Schutzgebiete vor unserer Haustür zu schützen?

Wir müssen uns fragen, welchen Wert Begriffe wie Naturschutzgebiet, FFH-Gebiet, Geotop oder Bodendenkmal in unserer Gesellschaft haben sollen. Sind sie Ausdruck zukunftssichernder Schutzziele oder nur halbherzig gemeinte Absichtserklärungen?“

Alternativen müssen geprüft werden

Noch ist etwas Zeit, um das Großprojekt zu stoppen, denn es gäbe durchaus Alternativtrassen (z.B. über die Bestandsstrecke Lübeck-Büchen-Lüneburg, die dafür elektrifiziert werden müsste), die den transeuropäischen Schienengüterverkehr weiträumig um das sensible Tunneltal und die vielen dichtbewohnten Gebiete umleiten könnten.

Dann hätte der Nahverkehr auf den bestehenden Gleisen wieder freie Fahrt und müsste sich die Gleise nicht mehr mit dem Güterverkehr teilen. Tausende Anwohner und das Tunneltal würden geschützt – und auch der Klimaschutz muss nicht auf der Strecke bleiben!

Infokasten:

Jeder betroffene Anwohner, so beispielsweise die Anwohner der Eulenkrugchaussee, die ein höheres Verkehrsaufkommen vor ihrer Haustür befürchten, kann letztmalig im Planfeststellungsabschnitt 3 (HH-Landesgrenze bis Bad Oldesloe) schriftlich seine Bedenken in Form einer Einwendung bei der Genehmigungsbehörde des Landes Schleswig-Holstein (siehe UVP Portal des Bundes (www.uvp-portal.de)) einreichen. Außerdem können Sie die Bürgerinitiativen unterstützen oder Protestbriefe an die Politik schreiben.

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