Interview mit Professor Glaubrecht zur Bedeutung des Tunneltals

Quelle: Cenak Hamburg

Unserem Projektpartner, dem „Hamburger Landschafts- und Klimaschutz Verband“ (HLKV) ist es gelungen, mit Professor Glaubrecht, der in Ahrensburg zur Schule ging, über den geplanten Trassenausbau und die Bedeutung des Tunneltals ein Interview zu führen.

Als Professor für Biodiversität richtet er dabei einen dringenden Appell an die Politik: „Wenn es uns nicht gelingen wird, die bestehenden Naturschutzgebiete vor unserer eigenen Haustür zu schützen, dann schaffen wir es nirgendwo.“

HLKV: Immer weniger Vögel sind zu sehen, Schmetterlinge und Wildbienen verschwinden ebenso wie Wildblumenwiesen. Welche Bedeutung hat Naturschutz heute angesichts dieses vielfach beklagten Artenverlustes?

Zunächst müssen wir betonen, dass sich unsere Artenvielfalt – im lokalen wie globalen – tatsächlich in einer ernsten Krise befindet. Viele Menschen haben das noch nicht verstanden, zum einen, weil sie meist glauben der Klimawandel sei unser einziges Problem; und weil wir natürlich derzeit durch die Pandemie auch noch andere Sorgen haben. Wenn wir aber die Biodiversität verlieren, gefährden wir langfristig auch, was die Natur alles für uns leistet. Trotz aller Anstrengungen des Naturschutzes aber beschleunigt sich das Artensterben weltweit weiter – auch bei uns! Mehr als zwei Drittel aller Tierbestände sind in den vergangenen Jahrzehnten verloren­gegan­gen. Der Biodiversitätsrat IPBES warnt davor, dass bis zu einer Million Arten unmittelbar vom Aussterben bedroht sind. Als Rettungsversuch hat die Europäische Kommission eine Biodiversitätsstrategie vorgelegt; danach sollen bis 2030 unter anderem 30 % der Land- und Meeresgebiete Europas unter Schutz gestellt werden. Den Naturschutzgebieten, die wichtige Lebensräume von Tieren und Pflanzen bewahren, kommt beim Erhalt der Artenvielfalt also eine große Bedeutung zu.

HLKV: Wie sieht es mit dem Naturschutz hier bei uns aus?

Wichtig und sinnvoll ist vor allem der Flächenschutz, wie er innerhalb der EU etwa durch die Fauna Flora Habitat-Richtlinie (FHH) vorgesehen ist. Doch Deutschland macht gerade hier seine Hausaufgaben sehr schlecht. Es hat sich zwar durch die Ausweisung sogenannter FFH-Gebiete international verbindlich verpflichtet, die Artenvielfalt und Lebensräume dieser Gebiete dauerhaft zu sichern. Unlängst aber zeigte sich nun, dass in Deutschland beinahe drei Viertel – genau sind es 70 % – aller FFH-Gebiete einen schlechten Erhaltungszustand aufweisen. Hier sind wir seit längerem schon alles andere als Weltmeister; wir sind sogar weit davon entfernt überhaupt nur die Qualifikationsrunde zu schaffen. Deshalb hat die EU-Kommission im Februar 2021 beschlossen, Deutschland wegen mangelhafter Umsetzung dieser Habitat Richtlinie vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen. Das ist bereits ein ganz schlechtes Zeugnis – und wir müssen daher alles tun, hier schnellstens und deutlich besser zu werden – auch und gerade vor Ort!

 

HLKV: Welche Bedeutung hat dabei das Stellmoor-Ahrensburger-Tunneltal als Flora-Fauna-Habitat-Gebiet?

Wir reden hier über gleich mehrere FFH-Gebiete – nämlich das Naturschutzgebiet „Stellmoorer Tunneltal“ auf Hamburger Seite und das „Ahrensburger Tunneltal“ in Schleswig-Holstein; hinzukommt das Gebiet „Höltigbaum“, das zwei Landesanteile hat. Dieses länderübergreifende Naturschutzgebiet eines ehemals eiszeitlichen Tunneltals direkt vor den Toren Hamburgs dient dem Schutz vieler im Bestand unter Druck geratener Tier- und Pflanzenarten. Das Gebiet ist der Lebensraum gefährdeter Arten, wie etwa dem Fischotter, dem Kammmolch und dem seltenen Sumpfquendel – aber diese sind nur gleichsam die Flagg­schiffe oder Zeigerarten des Schutzes, gleichsam die Spitze eines Biodiversitätsberges. Das Tunneltal beeindruckt zudem durch eine Vielzahl an verschiedenen Lebensraumtypen, die sich mosaikartig abwechseln und auf die besondere Geologie des Gebietes zurückzuführen sind. Insgesamt also ist dieses FHH-Gebiet ein sehr schützenswerter und wichtiger Lebensraum.

Zugleich ist es an den ausfransenden Siedlungsrändern zwischen Hamburg und Ahrensburg ein wichtiger Trittstein, der wie eine Insel die Verbindung zu anderen wichtigen Biotopen in der Umgebung im Nordosten Hamburgs darstellt. Dieser wichtige Biotopverbund reicht von der Ahrensfelder Feldmark über die Walddörfer bis zur Hummelsbüttler Feldmark – und dann weiter zu dem gerade ins Blickfeld gerückten Diekmoor in Langenhorn. Es hat also auch großräumige Bedeutung.

 

HLKV: Und welche Bedeutung hat das Stellmoor-Ahrensburger-Tunneltal als archäologischer Fundplatz?

Ja, da bin ich immer wieder verblüfft, wie wenig die Hamburger und Ahrensburger von ihrem Tunneltal als archäologischen Fundplatz von internationalem Rang wissen! Wir befinden uns hier in einer Region, die während der letzten Eiszeit, als weite Teile Nordeuropas vereist waren, unmittelbar im Randbereich des Skandinavischen Eisschilds lag. Hier haben die Gletscher und Schmelzwasserströme ein typisches Land­schafts­bild geschaffen, mit einer vielfältigen geologischen Struktur. Und dann kommt noch der Mensch hinzu – man muss sich das einmal vorstellen: Direkt vor unserer Haustür liegt einer der wichtigsten Fund­plätze der gesamten Menschheitsgeschichte! Das Ahrensburger Tunneltal ist eine der wichtigsten Grabungsstellen für die altsteinzeitliche Archäologie im nördlichen Europa. Hier haben vor mehr als 14.000 Jahren eiszeitliche Rentierjäger gelebt, deren Jagdwaffen auf einzigartige Weise im Feuchtboden des Tales konserviert wurden. Sie haben das Tunneltal zu einem international beachteten Fundort gemacht.

Ich habe auf meinen Forschungsreisen um die Welt einige solcher Plätze der Evolutionsgeschichte des Menschen besucht, wie etwa am Turkana-See in Kenia oder auf den südostasiatischen Inseln Java oder Flores. Und hier im Tunneltal liegt uns so ein weltweit wichtiges Grabungsgebiet direkt zu unseren Füssen, in dem Alfred Rust in den 1930 Jahren die ältesten nachgewiesenen Pfeilfunde ausgegraben hat. Das ist doch unglaublich! Das Tunneltal ist also ein enorm wichtiges archäologisches Bodendenkmal, das wie ein Fenster in unsere Vergangenheit einen Blick in die Lebensgewohnheiten und die Umwelt eiszeitlicher Jäger- und Sammlerkulturen zuerst vor mehr als 14.000 Jahren, und dann vor 12.000 Jahren zu werfen erlaubt. Ich habe keinen Zweifel, dass dieses Schutzgebiet hier vor den Toren Hamburgs – ganz ähnlich wie etwa die Wikingersiedlung Haitabu – das Potential für eine UNESCO-Welterbestätte hat.

 

HLKV: Genießt das Tunneltal also Ihrer Meinung nicht genug Bekanntheit in der Metropolregion?

Leider muss man sagen, dass es sich zwar bei den Besuchern und gerade den direkten Anwohnern großer Beliebtheit erfreut. Doch den auch national großen Wert für den Naturschutz als FHH-Gebiet haben die wenigstens erkannt; und noch weniger ist bisher der große symbolische und pädagogische Wert für die Hamburger und Ahrensburger ausreichend deutlich, wenn es um die archäologische Schatztruhe geht, die sie da unter ihren Füssen haben. Vor allem aber ist mir vollkommen unverständlich, wie geradezu ignorant hier die lokale Politik, aber auch die Landespolitik Hamburgs und Schleswig-Holsteins, seit langem agiert; das ist tiefste Regionalliga!

Die beiden Naturschutzgebiete des Stellmoor-Ahrensburger-Tunneltals bilden mit ihren mehr als 1000 Hektar nicht nur einen wichtigen länderübergreifenden Schutzgebietskomplex, in dem es gilt, die Natur mit ihrer örtlichen Artenvielfalt zu erhalten. Es ist überdies eines der wenigen Gebiete Nordeuropas, in dem diese eiszeitlich geprägte Landschaft besonders gut erhalten und bis heute sichtbar geblieben ist; noch dazu mit einem bedeutenden Fundort, über den sogar auf internationalen Konferenzen von Fachleuten gesprochen wird. Nur unsere Lokalgrößen der örtlichen Politik reden nicht darüber; und wenn dann nicht wirklich darüber, wie sie es dauerhaft erhalten können. Das ist doch wirklich unglaublich!

 

HLKV: Welche Folgen haben die Eingriffe auf das FFH-Gebiet im Speziellen und für den von Ihnen genannten Biotopverbund?

Leider wird dieses Gebiet jetzt regelrecht in die Zange genommen. Da ist vor allem der geplante und schon bedenklich weit vorangetriebene Ausbau der Bahntrasse. Viele Hamburger und Ahrensburger wissen oder ahnen ja noch gar nicht, was mit der damit verbundenen Freigabe der Bestandsstrecke für den transeuropäischen Güterverkehr in Richtung Fehmarnbelt an Folgen kommen wird. Und dann soll aktuell im Südosten des Gebiets auch die Müllverbrennungsanlage Stapelfeld um- und neugebaut sowie der grenz­übergreifende Gewerbepark (Rahlstedt/Stapelfeld) ausgebaut werden. Das ist eine Zangenbewegung gleich von drei Seiten. Sie wird dem FFH-Gebiet erheblichen Schaden zufügen. Ich frage mich, wie wir jemals das Ziel eines wirklichen Naturschutzes in der Fläche und im Biotopverbund erreichen wollen, wenn wir es nicht einmal schaffen, hier vor Ort unsere bestehenden FFH-Gebiete dauerhaft zu schützen und miteinander durch grüne Korridore (Biotopverbund) zu vernetzen?

Die Bahnstrecke „Hamburg-Lübeck“ durch das Ahrensburger Tunneltal wurde zwar schon Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut. Doch durch den Ausbau der bisher zweigleisigen Trasse um zwei weitere Gleise soll ja nicht wirklich die Bahnlinie S4 erweitert werden. Vielmehr wird die Bestandsstrecke vom Regionalverkehr entlastet und soll vor allem für den Schienengüterverkehr genutzt werden, um Hamburg mit dem geplanten Fehmarnbelttunnel zu verbinden. Um den Lärmschutz für den zu erwartenden Güterverkehr zu gewährleisten, sind drei bis sechs Meter hohe Lärmschutzwände beidseitig der Gleise geplant. Die bestehenden beschrankten Bahnübergänge „Brauner Hirsch“ (Gut Stellmoor) und Nornenweg werden durch Brückenbauwerke ersetzt. Dadurch werden nicht nur international bedeutende Bodendenkmäler überbaut; die dort im Boden noch ruhenden archäologischen Schätze können nicht gerettet werden und sind dann für immer verloren.

HLKV: Was müsste Ihrer Meinung nach hier der Hamburger Senat tun?

Es ist unverantwortlich, dass diese großen Baumaßnahmen von Politik und Genehmigungsbehörden gebilligt werden. Obgleich sie formal „nur“ am Rand der bestehenden FFH-Gebiete erfolgen, betreffen sie diese Schutzgebiete natürlich ganz unmittelbar. Gerade der Erhalt des Landschaftscharakters ist doch gefährdet, wenn man große Brückenbauwerke und meterhohe Lärmschutzwände auf Kilometern durch die Landschaft zieht. Von den vielen negativen Effekten für die Artenbestände und Vielfalt ganz abgesehen.

Hier wird wieder ein bedeutendes Stück Natur zerstört; das aber gilt es mit allen Mitteln zu verhindern!

Welchen Stellenwert sollen denn Schutzgebiete bei uns in Deutschland zukünftig haben? Wir können doch unmöglich international für den Erhalt der Artenvielfalt und den Schutz der Natur eintreten, wenn wir hier vor der eigenen Haustür Landschafts- und Naturschutzgebiete nicht erhalten. Auch Hamburger PolitikerInnen fordern doch gerade jetzt immer wieder vollmundig den Erhalt der Biodiversität. Sind das nur hohle Phrasen und leere Absichtserklärung; wie so vieles, was wir von der Politik auch hier vor Ort immerzu hören?

Deshalb auch hier mein Appell an die Politik, einmal mehr auf die Wissenschaft wirklich zu hören: Und die sagt eindeutig, dass wir weltweit, vom Lokalen bis zum Globalem, bereits jetzt Arten im großen Stil verlieren; weshalb wir alles auch vor Ort tun müssen, Natur wieder Raum zu geben. Meine eindringliche Aufforderung an die Politik und die Genehmigungsbehörden ist also, hier eine strategische Umweltprüfung für dieses große Naturschutzprojekt vorzunehmen und vor allem, sämtliche Alternativen für die geplanten Bauprojekte ehrlich und gewissenhaft zu prüfen. Wir müssen einen naturverträglichen Ausgleich zwischen Entwicklung und wirtschaftlichen Belangen und den Ansprüchen eines Natur- und Artenschutzes finden.

 

HLKV: Der „Hamburger Landschafts- und Klimaschutz Verband“ bedankt sich für das aufschlussreiche Gespräch.

 

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