Wie das Ahrensburger Tunneltal mit einem falschen Versprechen dem transeuropäischen Güterverkehr geopfert werden soll.
Durch die Entdeckung zweier steinzeitlicher Rentierjägerkulturen in den 1930er Jahren, wurde das Ahrensburger Tunneltal schlagartig zu einem international bedeutenden archäologischen Fundort.
Die Steinzeitkulturen, die am Ende der letzten Eiszeit dort lebten, sind gut dreimal so alt wie die berühmten Pyramiden von Gizeh oder das legendäre Stonehenge und hinterließen im Ahrensburger Tunneltal spektakuläre Fundstücke, wie den Stab von Poggenwisch (eines der ältesten Kunstobjekte Nordeuropas) – und die weltweilt ältesten Pfeile der Menschheitsgeschichte!
Alfred Rust, der Entdecker der Rentierjägerkulturen, hatte damals mit Bedacht nur einen kleinen Teil des „eiszeitlichen Schatzes“ gehoben, um zukünftigen Forschergenerationen mit besseren Grabungstechniken weitere Ausgrabungen zu ermöglichen.
Zusammen mit anderen Wissenschaftlern kämpfte er dafür, dass das Ahrensburger Tunneltal 1977 zum Grabungsschutzgebiet und später zum Naturschutzgebiet erklärt wurde, damit das Tal zukünftig vor neuen Straßen oder Baumaßnahmen geschützt bleibt.
Hätte er geahnt, dass nur 43 Jahre später trotzdem zwei weitere Gleise, Lärmschutzwände und ein gigantisches Brückenbauwerk unmittelbar am Fundplatz geplant werden, hätte er sich die Mühe wohl sparen können.
Oder hatte er die Bedeutung seiner Entdeckungen und des Fundortes womöglich überschätzt?
Fachgutachten bestätigt erneut die Bedeutung des Tunneltals
Im Rahmen eines archäologischen Fachgutachtens für die Deutsche Bahn, welches Teil des Planfeststellungverfahrens war, wurden daher im Sommer 2015 mehrere Probebohrungen im Bereich des Bahnübergangs Brauner Hirsch, also unmittelbar an den alten Fundplätzen im Tunneltal, vorgenommen.
Die Ergebnisse waren für die Archäologen überwältigend: Jede Bohrung erwies sich als Volltreffer und beförderte große Mengen an neuen Fundstücken an die Oberfläche. Die Hochrechnung für die gesamte Untersuchungsfläche (6.500 m²) am Bahnübergang Brauner Hirsch ergab, dass allein in diesem Bereich noch etwa 260.000 Einzelfunde zu erwarten sind!
Trotz der Bestätigung der außerordentlichen Bedeutung des Fundortes, halten Politik und Deutsche Bahn an ihren Plänen fest und begründen diese mit Kompensations- und Ersatzmaßnahmen.
Was lässt die Politik so unbeirrt an den Ausbauplänen festhalten?
„Verbesserung des Nahverkehrs“ sind die Schlagworte, die alle Argumente der Kritiker ungehört beiseite wischen. Und wer will sich in Zeiten von Klimawandel und Klimadiskussion schon gegen den Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs aussprechen? Offensichtlich niemand.
Doch wer genauer hinschaut, müsste erkennen, dass sich hinter dem angepriesenen Neubau der S4 eines der größten Infrastrukturprojekte Europas, nämlich der Ausbau der Schienenanbindung an den geplanten Fehmarnbelt-Tunnel nach Skandinavien, verbirgt.
Soll heißen: Die neuen Gleise werden gebaut, um die bestehenden Gleise vom Nahverkehr abzukoppeln und für den europäischen Schienengüterverkehr zur Verfügung zu stellen.
Bis zu 84 Güterzüge täglich werden dann Tag und Nacht durch das Tunneltal rollen. Eine Katastrophe für das Tunneltal – und die Anwohner entlang der gesamten Strecke!
Hinzu kommt, dass durch den zu erwartenden Lärm der Güterzüge die komplette Strecke beidseitig mit 3-6 m hohen Lärmschutzwänden ausgestattet werden muss. Naturräume werden zerschnitten, Städte geteilt – und der unverbaute Charakter des Tunneltals zerstört.
Nach langer Planungsphase hat das Eisenbahn-Bundesamt am 26. August 2020 nun grünes Licht für den ersten Bauabschnitt gegeben. Noch in diesem Jahr sollen die ersten Baumaßnahmen zwischen Hasselbrook und Luetkensallee starten.
Noch besteht Hoffnung
Anwohner und Naturschützer wollen dagegen klagen. Die Chancen stehen gar nicht schlecht, weil das Stellmoor-Ahrensburger Tunneltal nicht nur Grabungsschutzgebiet sondern auch Bestandteil eines Flora-Fauna-Habitat (FFH) Gebietes ist und damit den höchsten Schutzstatus auf europäischer Ebene für den Schutz seltener Tiere und Pflanzen genießt. Eingriffe dürfen hier nur erfolgen, wenn zumutbare Alternativen nicht gegeben sind. Im Fall der Planung der S4 wurden Alternativen jedoch gar nicht erst geprüft!
Noch ist genug Zeit, um das Trojanische Pferd zu entlarven und zu stoppen, denn es gäbe durchaus Alternativtrassen, die den transeuropäischen Schienengüterverkehr weiträumig um das sensible Tunneltal und die vielen dichtbewohnten Gebiete umleiten könnten.
Dann hätte der Nahverkehr auf den bestehenden Gleisen wieder freie Fahrt und müsste sich die Gleise nicht mehr mit dem Güterverkehr teilen. Tausende Anwohner und das Tunneltal würden geschützt – und auch der Klimaschutz muss nicht auf der Strecke bleiben!
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