Pflanzen der Eiszeit

Was weiß man über die Vegetation und ihre Nutzung zur Zeit der Ahrensburger Rentierjäger?

Foto: Michael Kukulenz

Text und Fotos: Michael Kukulenz, Dipl. Biologe

Da die Archäobotanik nicht mein Fachgebiet ist, habe ich mir bekannte Wissenschaftler, die u.a. in Schleswig-Holstein forschen, gefragt, ob sie nicht einen Text für die Website der IG Tunneltal schreiben können. Diese Zusage habe ich von Dr. Sascha Krüger bekommen, aber es ist ihm im Moment nicht möglich diesen Text zu schreiben. Der Kompromiss bestand nun darin, dass ich mit Informationen gefüttert wurde, die ich dann zusammengeschrieben habe. Vor der Veröffentlichung auf der Website wurde mein Text von Dr. Sascha Krüger noch einmal Korrektur gelesen.

Für diese Zusammenarbeit meinen herzlichen Dank, Sascha.

Über Kommentare/Anregungen der Leser würde ich mich freuen, möchte aber gleichzeitig sagen, dass mir eine zeitnahe Antwort oft nicht möglich sein wird.

Tundra in Ahrensburg

Die Zeit, aus der die Artefakte aus dem Stellmoor-Ahrensburger Tunneltal stammen, umfasst einen Zeitraum von ca.14.700 – ca.11.600 Jahren vor heute. In diesen 3000 Jahren gab es kein einheitliches Klima und damit auch keinen einheitlichen Pflanzenbewuchs und keine einheitliche Tierwelt. Warm- und Kaltzeiten wechselten sich ab und es gibt Nachweise für mehrere Kulturen, die nacheinander hier lebten. Die Vegetation zur Zeit der Ahrensburger Kultur (12.800 – 11.600 Jahre vor heute) soll an dieser Stelle etwas genauer betrachtet werden.

Vor 22.000 Jahren lag Ahrensburg am Rande der Gletscherzone. Über die tatsächliche Dauer und speziell das Ende der Vereisung wird noch fachlich gestritten. Spätestens mit dem beginnenden Meiendorf-Interstadial (einer Wärmeschwankung vor ca. 14.700 Jahren vor heute) wurde es wärmer, die Gletscher schmolzen stark ab und die Landschaft wie auch die belebte Natur veränderte sich. Bis zur Rückkehr der stadialen Phase (Rückkehr zu kaltzeitlichen bzw. eiszeitlichen Bedingungen) um 12.800 Jahren vor heute waren diverse Bestände aus Birken und Kiefern unterschiedlicher Dichte entstanden, die den neuen kälteren Bedingungen zum Opfer fielen. Der Kälteeinbruch ließ erneut Permafrostböden entstehen. Die geringe Jahresmitteltemperatur (die mittlere Julitemperatur lag damals bei etwa 10 °C, während sie heute bei etwa 18 °C liegt) und die Auslaugung der Böden kontrollierten das Pflanzenwachstum erheblich und führten zu einer deutlich veränderten Zusammensetzung der Flora und damit auch der Fauna. Diese Zeit wird als jüngere Dryaszeit bezeichnet. Funde von Makroresten der Pflanzen (Früchte, Samen, verkohltes Holz) lassen ebenso auf die Vegetation schließen wie auch die Mikroreste (Pollen und Sporen). Da die Makroreste selten erhalten sind und man entsprechend auf Pollenanalysen angewiesen ist, lassen sich die Pflanzen oft nicht bis zur Art bestimmen, aber allein die Bestimmung der Pflanzenfamilie ist schon ein großartiger Befund.

Pflanzen der Strauchtundra

Weiße Silberwurz (Dryas octopetala)

Es ist davon auszugehen, dass zur Zeit der Ahrensburger Rentierjäger Zwergsträucher eine landschaftsdominierende Rolle gespielt haben.

Durch Makroreste gesichert sind Zwergbirke (Betula nana), Moorbirke (Betula pubescens), Schwarze Krähenbeere (Empetrum nigrum), Wacholder (Juniperus communis), Polarweide (Salix polaris), Kleiner Sauerampfer (Rumex acetosella) und natürlich der Namensgeber Weiße Silberwurz (Dryas octopetala).

Preiselbeere (Vaccinium vitis-idaea)

Auf Grund von Pollenanalysen sind im Bereich der Endmoräne, was praktisch dem Tunneltal entspricht, eine Vielzahl von Süßgräsern und Kräutern anzunehmen. Auch gab es mehrere Beerensträucher wie Rauschebeere (Vaccinium uliginosum) und Preiselbeere (Vaccinium vitis idaea), nebst Gelbem Sonnenröschen (Helianthemum nummularium) und Vertretern der Gattung Artemisia, zu der Wermut und Beifuß gehören. Vielleicht Borealer Beifuß (Artemisia borealis)?

Zwergbirke (Betula nana)

 

Da die erste Hälfte der jüngeren Dryaszeit noch ein deutliches Temperaturgefälle zwischen den Jahreszeiten aufweist, ist es auch wahrscheinlich das Echtes Mädesüß (Filipendula ulmaria) und Brennnessel (Urtica sp.) vertreten waren, die oft im Pollenspektrum erfasst wurden.

 

 

Schwarze Krähenbeere (Empetrum nigrum)

All die genannten Pflanzen deuten auf eine Tundra bzw. Strauchtundra hin. Der Name Tundra beinhaltet, dass es sich um eine baumfreie Landschaft handelt, was aber vielleicht nicht ganz richtig ist. An geeigneten Stellen war die Moorbirke (Betula pubescens) sicherlich in der Lage Übermannshöhe zu erreichen. Sie bildete unter den genannten Bedingungen keine einzelnen Stämme, sondern wuchs eher strauchartig mit vielen Stämmchen aus dem Boden je nach geschützter oder exponierter Lage. Im Regelfall ist aber eher ein an den Boden angeschmiegter Stamm im niedrigen Krüppelwuchs anzunehmen.

Nicht nachgewiesen und auch nur schwer nachzuweisen, aber wahrscheinlich sind Birkenpilze im Spätsommer. Es gibt auch keine Nachweise für ein Vorkommen von Flechten. In diesem Fall ist man auf Analogieschlüsse angewiesen.

Welche Pflanzen nutzten die Rentierjäger?

Spannend wäre es nun auch zu wissen, welche Pflanzen wie genutzt wurden. Die Rentierjäger lebten wahrscheinlich nur saisonal im Tunneltal. Wenn man davon ausgeht, dass das Verhalten der damaligen Rentiere dem der heutigen ähnelt, so ziehen sie im Frühjahr/Frühsommer nach Norden und kommen im Herbst zurück in die südlicheren Gebiete.

Die herbstlichen Rentierjagden wurden sicher auch ergänzt von einer Ernte der in Massen vorkommenden Schwarzen Krähenbeere, die heutzutage in Alaska bis in den späten September hinein geerntet werden können. Kühl gelagert hält diese sich ohne weitere Präparationen sehr lange. Ähnlich verhält sich auch die Preiselbeere. Damit wären beide ein idealer Wintervorrat, wobei die verschiedenen Teile der Krähenbeere eventuell auch medizinisch genutzt wurden. Das ist auch für andere Pflanzen zu vermuten, so wirkt, z.B. das in Weiden und Pappeln enthaltene Salicin schmerzlindernd und antibakteriell. Die Zwergbirke könnte ein Lieferant für Birkenpech gewesen sein, das nachweislich als Klebstoff genutzt wurde. Natürlich kann es auch Nutzungen von Pflanzen oder Pflanzenteilen gegeben haben, von denen wir heute nichts mehr wissen.

In den Fundschichten, die den Ahrensburger Rentierjägern zugeordnet werden, fand man viele Pollen von Kiefern, aber Makroreste der Kiefer fehlen, was man so deuten könnte, dass letztlich doch keine Kiefern im Ahrensburger Tunneltal wuchsen. Da die weltweit ältesten Holzpfeile, die hier im Tunneltal gefunden wurden, alle aus Kiefernholz gefertigt wurden und zwar sowohl die Haupt- als auch die Vorschäfte, drängt sich die Vermutung auf, dass die Pfeile nicht vor Ort gefertigt, sondern mitgebracht wurden. Eine Erklärung für die Pollenfunde könnte sein, dass die für den Fernflug konzipierten Pollen der Kiefer es über große Entfernungen geschafft haben im Tunneltal zu landen und so den Anschein erwecken, als wenn dort Kiefern wuchsen. Wenn man sich auf der Erde umschaut, so zeigen aktuelle Forschungsergebnisse, dass das beste Klima- und Pflanzenäquivalent für die Zeit der Rentierjäger in Schleswig-Holstein sich heute im Süden Grönlands in der Region um Narsarsuaq/Qassiarsuk/Igaliku befindet. Allerdings stimmt die geomorphologische Situation mit der im Tunneltal nicht überein.

Hier klicken: Literatur zu den Pflanzen